Geteilte Mixtur

05.07.2022 09:21
#1 Geteilte Mixtur
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Dieser Tage verschlug es mich in eine Gegend, die nicht ohne gewisse Berechtigung im hiesigen Volksmund "Hinterland" heißt. Organologisch gab und gibt es da etliche weiße Flecke auf meiner regionalen Landkarte. In der Kirche fand ich eine seitenspielige Einmanualige mit mechanischer Kegellade aus der Werkstatt eines einheimischen Meisters vor. Wohl um die Jahrhundertwende gebaut, hatte sie Prinzipal, Gedackt und Streicher 8', Oktave und Flöte 4', dazu eine Oktave 2'. Letztere ist wohl schon eine orgelbewegte Zutat aus der Nachkriegszeit, den sie geht recht scharf zur Sache, Damit nicht genug: Um ein "Barockplenum" zu erreichen, hatte der Renovator (ich habe eine Vermutung, wer es war) eine neobarocke Mixtur 4 f 1 1/3' gestellt - und zwar in Bass/Diskant-Teilung, welches mir bisher noch nie untergekommen ist. Hat jemand von Euch sowas schon mal erlebt?
Ich vermute mal, dass auf den Halbstöcken mal eine Zunge stand, die der Ersterbauer dieser Orgel zwecks besserer solistischer Nutzung geteilt hatte. Diese Teilung der Mixtur ergibt m.E. wenig Sinn. Denn versucht man, einen c.f. (ganz gleich ob oben oder unten) solistisch zu führen, hat man garantiert eine, meistens zwei Repetitionen im Melodieverlauf. Und es sind sog. "wilde" Repetitionen, bei denen alle Chöre gleichzeitig in die Suboktave springen.
Natürlich hat man bei der "Modernisierung" einen wohl ursprünglich vorhandenen Pedal-8' (Cello, Violon o.ä.)
durch den unverzichtbaren Choralbaß 4' ersetzt (ich vermute, mit der Säge), der entsetzlich in der Tenorlage herumröhrt.

Leider ist die Quellenlage über die Orgel dürftigst. Die Hauptquelle für unsere Region, der "Bösken" ("Quellen und Forschungen zur Orgelgeschichte des Mittelrheins"), schweigt sich weitgehend aus. Und je kleiner ein Dorf, mit um so mehr Vorsicht sind die vorhandenen Angaben zu genießen. Bei Bösken ist lediglich die vermutliche Vorgängerin des jetzigen "Mischwerkes" erwähnt. Ich war etwas in Zeitdruck, die Hausfrau hatte einen Braten im Rohr ...
So habe ich es mir verkniffen, Fotos zu fertigen und mal einen Blick ins Gehäuse zu werfen.

LG
Michael


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05.07.2022 10:53 (zuletzt bearbeitet: 05.07.2022 10:55)
#2 RE: Geteilte Mixtur
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Mein Zuständigkeitsbereich liegt zwar nicht im Hinterland, jedoch ist mein Kirchenkreis regional ja auch nicht weit davon entfernt und es gibt einen vergleichbaren Fall in meiner Nähe:

https://organindex.de/index.php?title=V%C3%B6hl/Kirchlotheim,_Ev._Kirche

In der 1873 von Eduard Vogt errichteten Orgel findet sich ebenfalls die geteilte Mixtur (Teilung bei c1, wenn ich mich recht erinnere). Ich meine zu wissen, dass das auch noch immer der Originalzustand ist (so stand es zumindest im Gutachten des OSV) und keine spätere Ergänzung. Für die dortigen Verhältnisse erweist sich diese Teilung durchaus als sehr nützlich, da das zweite Manual als reines Echomanual für die Begleitung beim obligaten Spiel zu leise ist. Die Führung des c.f. ist allerdings nur in der oberen Hälfte klanglich sinnvoll möglich, die untere Hälfte kann dann dazugezogen werden, wenn man einen Plenumsklang erzeugen möchte.

Dies ist ein sehr schönes Instrument, das leider unter mangelhafter Pflege litt. Derzeit schweigt sie, da derzeit endlich notwendige Maßnahmen zu ihrer Erhaltung durchgeführt werden und voraussichtlich im Herbst soll sie wieder klingen.

Es mag sein, dass nicht alle Musiker an Gott glauben; an Bach jedoch alle. - Mauricio Kagel

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05.07.2022 11:42
#3 RE: Geteilte Mixtur
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Zitat von Wichernkantor im Beitrag #1

Leider ist die Quellenlage über die Orgel dürftigst. Die Hauptquelle für unsere Region, der "Bösken" ("Quellen und Forschungen zur Orgelgeschichte des Mittelrheins"), schweigt sich weitgehend aus. Und je kleiner ein Dorf, mit um so mehr Vorsicht sind die vorhandenen Angaben zu genießen.


Wenn du mehr erfahren willst, dann hilft oft der Blick über den Tellerrand. Du solltest mal auf den Organisten schauen welcher im Dienst war als die Orgel erbaut wurde. Es war damals nicht unüblich das die Organisten festgelegt haben wie ihre Orgel klingen soll. Bach, Böhm und so weiter sind bekannte Beispiele die ihre Orgel so bauen ließen wie sie dachten es wäre für ihr Spiel am besten. Es ist also gut möglich dass bei deiner Orgel sich viele Fragen klären ließen wenn du weißt wer die damals gespielt hat. Natürlich kann es auch nur zur Erkenntnis führen dass es einem nicht hilft 😃


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05.07.2022 11:42
#4 RE: Geteilte Mixtur
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Im Spieltisch war ein Firmenschild der Werkstatt Raßmann aus Möttau ohne Jahresangabe oder Opusnummer.
Wenn auf dem geteilten Stock von Anfang an eine Mixtur stand, dürfte es sich wohl um eine der Ausgang des 19. Jh. üblichen Cornettmixturen gehandelt haben, die nicht oder erst in der oberen Oktave repetierte.
Der Manualumfang unfasst lediglich vier Oktaven. Dafür wurde bei der "fachgerechten" Restaurierung das Pedal bis f' gebaut - damit der Organist Bachs F-Dur-Toccata spielen kann ...
Ich finde die Orgel im jetzigen Zustand furchtbar. Auf einen - durchaus soliden - Unterbau hat man einfach eine steile Spitze aufgesetzt. Der 16' grummelt einsam vor sich hin, weil man ihm den festigenden 8' genommen hat. Als ich merkte, "wie die Musik spielt", habe ich nicht weiter aufregistriert als 4'. Die Oktave klingt als ursprüngliche "Klangkrone" weich und voll, sie blieb offenbar unbefummelt von den Barockern.

LG
Michael


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05.07.2022 11:49
#5 RE: Geteilte Mixtur
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Zitat von Christian_Hofmann im Beitrag #3

Wenn du mehr erfahren willst, dann hilft oft der Blick über den Tellerrand. Du solltest mal auf den Organisten schauen welcher im Dienst war als die Orgel erbaut wurde. Es war damals nicht unüblich das die Organisten festgelegt haben wie ihre Orgel klingen soll.


Genau das war hier völlig unüblich. Über Orgelbauten und Orgelkäufe entschied das gräflich Solms'sche Rentamt nach Kassen- und Aktenlage. D.h. es wurde irgendwas gekauft, am besten gebraucht und möglichst billig, bevorzugt vom "gräfl. privilegirten" Land- und Hoforgelbauer. Ein "Orgelcommissär" (ein gewisser Joh. Christian Heinrich Rinck hatte dieses Amt in der Region bis zu seinem Tod 1845 inne,) überwachte und genehmigte das Ganze, legte Anzahl der Manuale (i.d.R. ein einziges) Registerzahl und Disposition fest. Der amtierende Schulmeister hatte den Gnadenakt einer hohen gräflichen Behörde untertänigst entgegenzunehmen. Wenn er es gewagt hätte, "Wünsche" zu äußern, wäre das als "Insubordination" gewertet worden.

LG
Michael


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05.07.2022 14:22
#6 RE: Geteilte Mixtur
Ch

Ich kann die Eckdaten gerne morgen mal unseren Kantor nennen, er ist Ogelsachverständiger für Thüringen und weiß viel zu verschiedenen Geschichten und Orgel Typen. Hat da schon Dutzend Veröffentlichungen gehabt. Damals waren ja Regionen hier auch Provinz Sachsen und Kassel. Vielleicht hat er dazu etwas oder eine Idee.


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05.07.2022 14:33
#7 RE: Geteilte Mixtur
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Danke, nicht nötig. Mit der Orgelbauhistorie im hiesigen Raum bin ich hinreichend vertraut. Mich erstaunte lediglich die Teilung der Mixtur. Rinck ließ hier in der Gegend gelegentlich eine Manualzunge bauen (anfangs Krummhorn, später Trompete), die gelegentlich geteilt wurde.
Meine Vermutung geht dahin, dass auf dem Stock des jetzigen 2' eine Cornettmixtur stand und eine Trompete da, wo jetzt die Mixtur steht. Meine eigene Dienstorgel (Bürgy/ Bad Homburg,1808) weist dieses Spezifikum auf.
Bösken wertete für seine "Quellen und Forschungen" die Gemeindearchive und die Akten der Rentämter der vielen kleinen Duodezfürstentümer (Solms-Lich, Solms-Braunfels, Nassau-Weilburg etc.) aus Für diesen Ort gibt es ganz dürftige Angaben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man in Thüringen weitere und umfangreichere Quellen über den Orgelbau in unserer Gegend kennt.
Mir ging es lediglich darum, ob die geteilte Mixtur singuläres, bei einem Umbau aus Sparzwang gezeugtes Ereignis ist oder bautypisch war für den Stil einer regionalen Firma im ausgehenden 19. Jh.
Ich vermute ersteres.

LG
Michael


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