O Haupt voll Blut und Wunden

08.02.2012 21:56
#1 RE: O Haupt voll Blut und Wunden
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Administrator

Nachdem wir ja schon vor einiger Zeit hier erfahren haben, dass im neuen Gotteslob (2013) das Passionslied "O Haupt voll Blut und Wunden" wieder mit Viertelnoten-Auftakt stehen wird (derzeit haben wir noch eine Halbe-Note), würde mich interessieren, ob das in euren Gemeinden eventuell schon so gesungen wird.


Ich verkaufe meine Orgel, eine Gloria Concerto 234 Trend DLX. Bei Interesse bitte PN oder Mail.

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10.02.2012 14:13
#2 RE: O Haupt voll Blut und Wunden
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Moderator

Einer meiner Freunde saß in den frühen 70ern als junger Kantor in der Kommission, die in Würzburg für die Liedauswahl des GL zuständig war. Damals war historische Aufführungspraxis der große Trend (es war doe große Zeit Harnoncourts) und in der Kommission dominierten Musikwissenschaftler, die bei alten Chorälen stets die ältestmögliche „Originalfassung“ durchdrückten, ohne jede Rücksicht auf Gemeindepraxis. Dabei ist so mancher Schnitzer passiert – der wohl bekannteste bei „Es ist ein Ros‘ entsprungen“. Man nahm einfach den Discantus des berühmten Prätorius-Satzes und erklärte ihn – einen Ganzton tiefer – zur „Melodie“. Die Tatsache, daß diese Melodie nur im harmonischen Zusammenhang des vierstimmigen Satzgefüges Sinn macht und überzeugend klingt, kehrte man einfach unter den Tisch. Man hätte diese Klanglogik herstellen können, indem man den Originalsatz einfach zum Begleitsatz erklärt und im Orgelbuch abdruckt- wie bei der ev. Konkurrenz. Aber dort durfte sich ein moderner Tonsetzer verewigen. Seither kämpfen singende Gemeinden mit dem durch nichts motivierten Mischmasch von Vierteln und Halben bei „von einer Wurzel zart“ – oft erfolglos. Die Kölner haben dem von vornherein vorgebeugt und die alte Fassung in gleichmäßigen Viertelnoten in ihren Anhang übernommen – natürlich im besser klingenden F-Dur.
(Weiteres Paradebeispiel: „Nun ruhen alle Wälder“ – im GL „O heilge Seelenspeise“. Auch hier stand die über Jahrzehnte übliche Fassung in flüssigen Vierteln, bis die Musikwissenschaft das Kommando übernahm.)
Dieselben Experten waren zuständig für die vielen langen Auftakte in Halben, die keinen Sinn machen. Aber da reichten sich Historiker und „Pastoraltpraktiker“ mir reichlich Frühmeßerfahrung die Hand, denn der lange Anfangsakkord übernahm dankenswerter Weise die Funktion des „Lumpensammlers“ – und das, obwohl das ( im Wesentlichen von Peter Planyavsky formulierte) Vorwort des Orgelbuches solchen Praktiken dezidiert eine Absage erteilt und ein rhythmisch Exaktes Singen (und Begleiten) postuliert. Ich würde den kath. Kollegen wünschen, daß so mancher „musikwissenschaftliche“ Unsinn mangels Praxistauglichkeit im zukünftigen GL eliminiert wird. Und vielleicht lernt man ja auch vom anderen Gesangbuch, indem man den Nebenamtlern bei besonders hoch liegenden Liedern einfach eine tiefere Variante mit ins Orgelbuch schreibt. Im ev. württembergischen Orgelbuch von 1949 gibt es „Nun danket alle Gott“ z.B. wahlweise in F-Dur, Es-Dur und D-Dur oder „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ in C, B und A. Gar net domm, die Schwobe ...

Ach so: Im EG steht "O Haupt" mit Viertel-Auftakt.

FG
Michael


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10.02.2012 14:32
#3 RE: O Haupt voll Blut und Wunden
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Administrator

Hallo Michael,

das sind ja interessante Details aus dem Nähkästchen! Danke dafür!

Deiner Notiz zur EG-Fassung von "O Haupt voll Blut und Wunden" folgend, vermute ich stark, dass das neue Gotteslob melodisch an der Fassung des EG anknüpft. Steht dort auch eine Viertel beim Auftakt des vorletzten Verses: "jetzt aber frech verhöhnet"? Im derzeitigen Gotteslob steht ja auch noch ein Halbe-Auftakt.

Zu "Es ist ein Ros entsprungen": In meiner Kindheit wurde hierzulande auch noch die Viertelnotenfassung gefunden. Ich muss aber sagen, dass ich die Prätoriusfassung schöner, weil bewegter finde. Der Orgelsatz im Gotteslob statt aus dem "Würzburger Orgelbuch" und scheint mir eng an Prätorius' Chorsatz orientiert. Ich möchte diese Fassung eigentlich nicht mehr missen. Über die Tonart lässt sich freilich streiten: F-Dur ist relativ hoch, zumal weite Teile der Melodie sich dann rund um das zweigestrichene c bewegen. In heutiger Zeit nicht unproblematisch... Über schrumpfende Tonumfänge heutiger Gottesdienstgemeinden habe ich mich in einem anderen Thread ja schon geäußert. In Zeiten des Priestermangels gibt es in etlichen Pfarrgemeinden auch relativ frühe Messen (ab 8.00 morgens...) — da sind hohe Tonlagen auch vernichtend und führen nicht selten zum resignativen Zuschlagen des Gesangbuchs.


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10.02.2012 19:47
#4 RE: O Haupt voll Blut und Wunden
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Moderator

Hallo Klaus,

ich rechne den Prätorius-Satz zum musikalischen Weltkulturerbe. Gerade deshalb empfinde ich jedes Herumfummeln daran als Barbarei. Ich denke, man hat vielen Weihnachtschorälen keinen Gefallen getan, als man sie im GL von F nach Es heruntergesetzt hat. Mein Ohr hört nach 50 Jahren Gewöhnung eine ausgeprägte Tonartencharakteristik heraus (ohne daß ich Absoluthörer bin). Und für mich ist nun mal F die "Pastoraltonart" und G und D sind die Jubeltonarten. Es-Dur ist mir einfach zu weich und melancholisch.
Gemeindegesang darf ruhig bis d1 gehen, es1 ist problematisch, e1 geht heutzutage nicht mehr. Ich spiele deshalb das unvermeidliche "Stihille Nacht" in A, "Wachet auf" meistens in B, gelegentlich in A. Dafür nehme ich ausgeprägte Festlieder gern einen halben Ton höher. "Großer Gott, wir loben dich" oder "Lobe den Herren" klingen in Fis erheblich leuchtender als in F. Ich mache mir auch gern den Spaß, in E zu beginnen, im ersten Zwischenspiel nach F, im zweiten nach Fis zu modulieren, abschließende Fughette in G. Meine Gemeinde ist an solche Spielchen gewöhnt und hat Spaß daran. Sie singt auch ton- und rhythmusfest, wenn sie den c.f. nur im Baß oder in Arpeggien versteckt hört.
Bei "Nun danket alle Gott" mit seinen anfänglichen Tonrepetitionen auf c1 (im EG) komme ich der Gemeinde nach E-Dur entgegen, weil das strahlt wie ein Christbaum.

FG
Michael


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10.02.2012 21:33
#5 RE: O Haupt voll Blut und Wunden
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Administrator

Viele Parallelen zu meiner Praxis. Prost:
Ich variiere auch gern die Tonhöhe und spiele die letzte Strophe gerne mal einen halben oder ganzen Ton höher. Um Tonarten mit mehr als 4 Vorzeichen versuche ich zumeist einen Bogen zu machen, ich bin eben nur Hobbyist. [wink]
Ja, "Stille Nacht" spiele ich seit kurzem auch nur noch in A-Dur, weil es mir in B einfach zu gequält klingt. Ich wette gar, dass es Organisten gibt, die es in As oder noch tiefer in G spielen — und darob den Beifall ihrer Gemeinden finden. "Nun danket alle Gott" steht im Gotteslob ja in Es-Dur; habe es sowohl in E als auch in D schon gespielt. Vor vielen, vielen Jahren auch in F — aber das geht nur bei mächtigem Gemeindegesang... und solchen habe ich schon lange nicht mehr erlebt, leider.

Die Sache mit dem sakrosankten Weltkulturerbe verstehe ich — und auch wieder nicht. Den Satz im Orgelbuch zum Gotteslob finde ich durchaus gut; er deckt sich auch nicht 100%ig mit den Prätorius'schen Harmonien und Stimmverläufen. Trotzdem ist darin so etwas wie die Quintessenz seiner harmonischen Auslegung erkennbar. Und das finde ich schön.


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14.02.2012 17:44
avatar  JuergenPB ( gelöscht )
#6 RE: O Haupt voll Blut und Wunden
Ju
JuergenPB ( gelöscht )

Zitat von Wichernkantor
…und in der Kommission dominierten Musikwissenschaftler, die bei alten Chorälen stets die ältestmögliche „Originalfassung“ durchdrückten, ohne jede Rücksicht auf Gemeindepraxis. Dabei ist so mancher Schnitzer passiert – der wohl bekannteste bei „Es ist ein Ros‘ entsprungen“. Man nahm einfach den Discantus des berühmten Prätorius-Satzes und erklärte ihn – einen Ganzton tiefer – zur „Melodie“…


Gerade weist mich wer darauf hin, daß es sich etwas anders verhält. Prätorius nahm die älteste Fassung für seinen Chorsatz und ebenso nahm die Kommission die älteste Fassung für das Gotteslob.

Siehe hier: http://books.google.de/books?id=XgMtAAAA...epage&q&f=false
Seite 232f.


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18.02.2012 12:20
#7 RE: O Haupt voll Blut und Wunden
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Administrator

Mit den ältesten Fassungen ist das so eine Sache...
Wo wird den etwa "Stille Nacht" noch in der Urfassung gesungen?
Auch die Gotteslob-Melodie von "Schönster Herr Jesu" ist hierzulande eigentlich unbekannt — wurde aber in etlichen Gemeinden bereits eingelernt und parallel zur altbekannten Fassung gesungen (die auch im EG abgedruckt ist).


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