Hadamar: die verborgene Schöne

31.07.2020 18:34 (zuletzt bearbeitet: 19.08.2020 17:44)
#1 Hadamar: die verborgene Schöne
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Wenn ich an eine fremde Orgel komme, dann ziehe ich erst mal (so vorhanden) den Prinzipal 8’ und spiele einen Choral in weiter Lage. Diesen Klangeindruck gleichen meine Synapsen quasi automatisch ab mit dem, was seit meiner Orgelsäuglingszeit als „Urprinzipal“ abgespeichert ist. Als ich mich vorgestern an die Orgel in der Kirche St. Nepomuk in Hadamar setzte und den ersten Akkord griff, machte es „klick“ in meinen Hirnwindungen und ich wusste: Das ist er! Der ideale Prinzipal, wie ihn im Haus Klais nur zwei Intonateure hinbekamen, der Chefintonateur Karl Späth, der die Übeorgel meiner Lehrjahre intoniert hatte, und sein Schüler und Nachfolger Josef Luthen.

Einfach ein Traum, was Hans-Gerd Klais und seine Mitarbeiter da 1970 in Hadamar hingestellt haben. Es ist mir unbegreiflich, dass diese sagenhaft knackige Orgel nur ein einziges Mal, kurz nach der Weihe, auf Tonträger gebannt wurde (Verlag Psallite, Theo Ritterbecks) und dann im Dornröschenschlaf versank.

Die Kirche ist ein heller, barocker Saal mit einer Empore über die ganze Breite der Rückwand. Das Orgelgehäuse in barocker Formgebung steht mit vorgebautem Rückpositiv schlank und elegant in der Mitte.

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Hans-Gerd Klais hat diese Orgel als eines der Referenzinstrumente für sein Buch „Überlegungen zur Orgeldisposition“ (Verlag "Das Musikinstrument", Frankfurt, 1973) ausgewählt. Dort ist die innere Logik der Disposition erläutert.
Die Registerwippen am dreimanualigen Spieltisch, der ans Untergehäuse angebaut ist, liegen waagerecht in einer Linie über Manual III. Es sind nicht mehr die kleinen gekröpften Wippen, sondern Zungenschalter à la Wurlitzer-Orgel, die Klais kurzzeitig verbaut hat, bevor die unpraktischen Garderobenhaken in Mode kamen.
Beim Darübergucken wusste ich: Das ist absolut meine Orgel!

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Der Spieltisch hat nur das, was nötig ist. In der Vorsatzleiste des Pedals gibt es rechts neben dem Schwelltritt einen Piston für „Sequenzer vorwärts“. Mehr nicht. Und seien wir ehrlich: das langt.
Die Orgel hat kein Schwellwerk, sondern ein Echowerk. Es ist im Untergehäuse eingebaut, die Türen öffnen sich nach der Seite. Sitzt man bei geschlossenem Schweller am Spieltisch, hört man das Werk dennoch sehr präsent. Seine Funktion ist die einer dynamisch abstufbaren Continuo-Orgel für das Zusammenspiel mit seitlich platzierten Ensembles und Chören.

Dass die nicht allzu große Kirche 1970 eine so stattliche Orgel bekam, verdankt sie der Einrichtung des Internates der Limburger Domsingknaben ein Jahr zuvor. Das Instrument diente nicht nur zum Gottesdienst, sondern auch zum Unterricht und zum Üben für Orgelschüler, zu Chorkonzerten und Aufführungen mit Ensembles.

Die Plena entsprechen der Charakteristik, die die Silbermänner den Manualwerken einer Orgel zuschrieben: Hauptwerk „groß und gravitätisch“, Rückpositiv „penetrant und durchdringend“, Echowerk „delicat und lieblich“. Wobei der Begriff der Penetranz heute anders besetzt ist als im barocken Musikerlatein.

Zwei Cornette lassen sich gegeneinander ausspielen – das aufgebänkte des Hw gegen das zerlegte des Echowerkes. 2’ und 1’ erlauben im Zusammenwirken mit den Einzelaliquoten im Echowerk zahlreiche Solomischungen wie das von Silbermann empfohlene „Stahlspiel“.
Einziger Ausreißer in der hervorragend ausgeglichenen, den Charakter der Registerfamilien betonenden Intonation ist die barocke Gambe im Hw.
Die zischelnde, etwas träge Ansprache dieses Streichers muss auf etlichen Tönen nachgearbeitet werden. Derzeit ist die Gambe nur zusammen mit der Flöte zu brauchen, die ihren Tönen bei der Ansprache auf die Sprünge hilft.
Die beiden Nebenmanuale und das hinterständige Pedal ergeben im Triospiel aufstellungsbedingt ein ungemein plastisches Klangbild. Das gekoppelte Plenum füllt den Raum angenehm.

Eine ideale Orgel für die Musik Bachs, darüber hinaus dürfte Musik des „galanten Stils“ aus Süddeutschland bezaubernd klingen. Leider hatten wir wenig Zeit, das auszuprobieren, weil wir etwas aus dem Zeitplan geraten waren. Aber diese Orgel steht gewiß noch mal in aller Ruhe, mit prallgefüllter Notentasche und mittlerem Besteck auf meiner Zielliste.

LG
Michael


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