Neue Orgel für die Benediktiner-Abteikirche Tholey

15.05.2020 20:07 (zuletzt bearbeitet: 09.09.2020 13:24)
#1 Neue Orgel für die Benediktiner-Abteikirche Tholey
avatar
Moderator

In meiner Heimat gibt es einen Orgelneubau (im alten Gehäuse) - in der Benediktiner-Abteikirche Tholey, die zugleich Pfarrkirche des Ortes ist.
Die Firma Mayer in Heusweiler, seit den 50er Jahren Erbauerin zahlreicher Orgeln im Raum Saar/Lor/Lux, baut 42 Register auf III Manualen unter weitgehender Verwendung des alten Pfeifenmaterials von Oberlinger, wobei bereits die Oberlinger-Orgel ihrerseits Material zweier Vorgänger-Instrumente enthielt.

Hier der Neubau:
https://www.orgelbau-mayer.de/index.php/...oster-in-tholey

Die Oberlingerin aus 1960 war zwar eine der besseren aus Windesheim, aber berüchtigt wegen ihrer lauten Mixturen. Die notorische "Klingend Cymbel 5f" im Brustwerk ließ das Ohrenschmalz zu Staub zerbröseln.

Hier die alte Disposition (weit nach unten scrollen):

https://de.wikipedia.org/wiki/Benediktin...uritius_(Tholey)

Der synoptische Vergleich zeigt, dass der Neubau durchaus versucht, in der Tradition des Hauses Stumm zu bleiben, das über mehrere Generationen den Orgelbau der Region geprägt hat. Also kein "sinfonischer Brüller", sondern eher die "linksrheinische Symphonik", die Hans Klais in seinen Dreimanualigen kultivierte. Hauptwerk und Positiv klassisch disponiert mit leicht verbreiterten Grundstimmenfonds, das SW etwas üppiger, wenngleich nicht dominierend.

Derzeit laufen die Arbeiten an der Intonation. Ich kenne den Intonateur, seit er in dieser Firma als Lehrling angefangen hat. Und ich bin hochgespannt auf das Ergebnis.

Von der Oberlingère besitze ich alle LPs. In orgelbewegten Zeiten galt dieses Instrument als prototypisch, war aber schon damals als arg mixturlastig verschrien.

Abt der Abtei war bis in meine Studienzeit hinein P. Maurus Sabel, in Forschung und Praxis einer der "Päpste" der Gregorianik im Linksrheinischen. Seine Studien über den "Trierer Choral", den wohl ältesten der kath. Kirche aus dem 4. Jh, waren damals bahnbrechend. Wir haben uns als Studiosi gelegentlich in die Tholeyer Kirche gesetzt, um das Offizium zu hören. Damals zählte der Konvent noch knapp 50 Häupter ... lang ist's her.

LG
Michael


 Antworten

 Beitrag melden
18.05.2020 12:33
#2 RE: Neue Orgel für die Benediktiner-Abteikirche Tholey
avatar
Moderator

Unser Heimweg heute würde nur einige Kilometer an Tholey vorbeiführen. Also fahren wir nicht vorbei, sondern hin. In bin sehr gespannt, was Mayer da gebaut und vor allem intoniert hat.
Im Saarland zählte die Firma ja seit ihrer Gründung zu den "Platzhirschen" und lieferte solide Qualität zu einem fairen Preis. Schon seit einigen Jahren hat das Haus zwei sehr gute Intonateure, mit denen es ziemlich weit vorn mitspielen kann. Ich habe vor einiger Zeit eine von Mayer restaurierte Wetzel-Orgel in Bourglinster/Luxemburg gespielt (technischer Neubau auf Schleiflade + Erweiterung), die mir ausgezeichnet gefallen hat. Das elsässische Indiom der frühen Romantik war perfekt getroffen.
Mglw. versuchen sie sich in Tholey an der Sprache der spätbarocken Stumms - das jedenfalls legt die Disposition nahe. Und es würde sehr gut in die Landschaft passen.

LG
Michael


 Antworten

 Beitrag melden
18.05.2020 18:17 (zuletzt bearbeitet: 18.05.2020 21:08)
#3 RE: Neue Orgel für die Benediktiner-Abteikirche Tholey
avatar
Moderator

Randvoll mit Eindrücken sind wir eben daheim eingelaufen.

Es halt einfach gut getan, nach Tagen der „Ausgangsbeschränkung“ (ein Wort, dass ich in vorcoronarer Zeit nur aus dem militärischen Disziplinarrecht kannte) wieder über Land zu fahren und es zu genießen, wie schön die Welt ist, wenn die Menschen mit Abstand, Anstand und Respekt miteinander umgehen. Das kann ruhig übrigbleiben, wenn die Pandemie einmal passé sein sollte.

Den frischesten Eindruck zuerst: Noch vor drei Stunden stand ich in der Abteikirche von Tholey, wo die Intonateure am letzten Feinschliff der neuen Orgel arbeiteten.
Mein Eindruck: Das Saarland ist um eine sehr originelle Orgel reicher.
Denn die neue Orgel ist weder ein mixturloser sinfonischer Brüller mit Hochdruck-Krawall, noch eine der im Saarland weit verbreiteten (und oft sehr gut intonierten) Dreimanualigen mit barockem Hw und Pos nebst einem „französischen“ Schwellwerk.

Angesichts der Disposition hätte ich nie vermutet, dass den Intonateuren ein Instrument in der Tradition der elsässischen „Reformorgel“ nach Rupp/Schweitzer vorschwebte. Und das ist es auch geworden. Die Hälfte der Register, vor allem die Grundstimmen, stammen von der Vorgängerin von Oberlinger aus 1960. Es ist zwar kein exakter Beweis möglich, aber Oberlinger soll seinerseits Pfeifenmaterial der Vor-Vorgängerin des Lothringers Verschneider aus der Mitte des 19. Jh. Übernommen haben.

Dass Mayer für das neue Instrument quasi alles ab 2‘ neu gefertigt hat, kann ich aus eigenem Erleben nachvollziehen. In meiner Studienzeit hatte ich zweimal die Gelegenheit, kleinere Konzertprogramme in Tholey zu spielen – ein gutes Lampenfiebertraining an einer Orgel, die für alles, was wir so spielten (vor allem norddt. Barock und Bach), die geeigneten Stimmen bot und unserem jugendlichen Übermut mit einer kräftezehrenden Traktur Einhalt gebot.
Die Mixturen, vor allem die 5fache Cymbel im Brustwerk, gefühlte zwei Handbreit über dem Haupte des Organisten, waren selbst für uns, die wir den Neobarock damals durchweg „schön“ fanden, eine Grenzerfahrung. Der Abteiorganist Dr. Peter Matthias Scholl (ein Mensch mit genialischen Zügen, der 2009 tragisch ums Leben kam) warnte uns immer vor dem „steilen Zeug“.

Die neuen Mixturen von Mayer sind bildschön geraten. Weich, perlend, flüssig und lebendig. Vor allem die Aetheria im Sw versilbert die Grundstimmen bezaubernd. Die Zungen sind kernig, aber nicht übertrieben laut. Sie binden nach den Idealen Schweitzers (und Widors, dem die von CC zu laut waren!) gut in die Labialplena ein. Das Pedal grummelt lingual ganz nett. Mir wäre ein labialer 32‘ lieber gewesen als eine Zunge. Sie grummelt zum Glück nicht allzu preßlufthämmernd. Zudem kombiniert die Großquinte einen Großbass zusammen mit dem Prinzipal 16‘ – im Raum spürbarer als am Spieltisch.

Die relativ niedrige gotische Halle hat eine ideale Orgelakustik. Das Plenum der Orgel übersetzt das heimelige Gefühl, das diese Kirche mit ihrem dunklen Stein verbreitet, in ein adäquates, warmes Klangbild.

Die Oberlingerin war ja trotz ihrer „Giftigkeit“ ein beliebtes Konzertinstrument. Das wünsche ich auch dieser neuen Orgel. Hoffentlich entdecken an ihr viele junge Kollegen, dass der Reiz einer guten Orgel nicht im Röhren des Generaltutti, sondern in schattierungsreichen Mezzoforte-Mischungen und singenden Plena liegt.

Was sich in Paris so alles zugetragen hat, morgen im anderen Thread.
Jetzt werden wir erst mal auf der Terrasse die Abendsonne genießen, frische Erdbeeren schnabulieren und dazu einen kühlen Moselriesling picheln – frischen Nachschub von „dahemm“.

LG
Michael


 Antworten

 Beitrag melden
21.08.2020 09:47 (zuletzt bearbeitet: 21.08.2020 10:02)
#4 RE: Neue Orgel für die Benediktiner-Abteikirche Tholey
Ma

Ein Beitrag in der ARD-Mediathek, in dem Bernhard Leonardy (St. Johann SB) die Orgel vorstellt:
https://www.ardmediathek.de/sr/video/die...Nkh7H3NB8rR-qaE

Gloria Concerto 350 Trend

 Antworten

 Beitrag melden
21.08.2020 09:58
#5 RE: Neue Orgel für die Benediktiner-Abteikirche Tholey
avatar
Moderator

Schön gemachter, für den Laien sehr informativer Beitrag. Leider liefern nicht alle Kollegen sowas ab, wenn es um das Thema "Orgel" geht.
Natürlich gibt die Tonspur nicht annähernd das wieder, was tatsächlich klingt. Fernsehton eben. Wer immer die Gelegenheit hat, sollte hinfahren. Ich denke mal, dass der Konvent sehr interessiert daran ist, das Instrument bekannt zu machen.
Auf jeden Fall ist diese Orgel eine schöne Bereicherung der Landschaft. Mayers Mixturen sind in sich absolut stimmig. Kein Vergleich zum "Giftgrün" der vorherigen Stimmen.

LG
Michael


 Antworten

 Beitrag melden
19.09.2020 08:53 (zuletzt bearbeitet: 19.09.2020 12:12)
#6 RE: Neue Orgel für die Benediktiner-Abteikirche Tholey
avatar
Moderator

Heute wird die Abteikirche wieder offiziell für den "Publikumsverkehr" freigegeben. Zum Abschluß der umfassenden Renovierungsarbeiten wurden im Chor sechs Fenster eingebaut, die Gerhard Richter entworfen und dem Kloster geschenkt hat.
Die heutige Feier ist wohl nur geladenen Gästen zugänglich. Ab dem 2. Oktober soll es dann - ausweislich der HP des Konvents - wieder regelmäßige Führungen geben. Ob dazu auch eine Orgelvorführung gehört, weiß ich nicht, ab er es wäre sehr zu wünschen, finde ich.

https://www.abtei-tholey.de/besuchen/gaestefuehrungen.html
https://www.sr.de/sr/home/nachrichten/pa...ellung_100.html

LG
Michael


 Antworten

 Beitrag melden
20.09.2020 13:37
#7 RE: Neue Orgel für die Benediktiner-Abteikirche Tholey
Ma
Gloria Concerto 350 Trend

 Antworten

 Beitrag melden
21.09.2020 09:18 (zuletzt bearbeitet: 21.09.2020 09:20)
#8 RE: Neue Orgel für die Benediktiner-Abteikirche Tholey
avatar
Moderator

Das, was auf der Tonspur gelandet ist, bestätigt meine These, dass man eine Orgel nicht auf der Grundlage einer Aufnahme (schon gar nicht im Format mp3) beurteilen sollte. Im Original klingt die Orgel

a) anders,
b) besser.

Leonardys Spiel ist natürlich pp - pfom Pfeinsten. Vor allem der .

LG
Michael


 Antworten

 Beitrag melden
Bereits Mitglied?
Jetzt anmelden!
Mitglied werden?
Jetzt registrieren!