Amtliche Bach-Interpretationen, Pedalspiel

02.09.2017 12:16
avatar  Sweevaldi ( gelöscht )
#1 RE: Amtliche Bach-Interpretationen, Pedalspiel
Sw
Sweevaldi ( gelöscht )

Bachfreunde aufgepasst:

eine Reihe sehr guter Interpretationen Bach'scher Orgelwerke, in teils hervorragender Bild- und Tonqualität, sind hier zu finden:

http://allofbach.com/en/bwv/?selected_fa...Aorgel&q=&o=bwv

Diese Sammlung beinhaltet unter der Rubrik "organ" einige wirklich "amtliche" Interpretationen, so z.B. hervorzuheben:
BWV 538 und 564, die m.E. zu den besten Aufnahmen zählen, die man derzeit davon im Netz finden kann.
Die Interpreten erliegen dabei auch nicht der inzwischen immer häufiger festzustellenden Versuchung zur Steigerung der Tempi bis ins akustisch wie musikalisch Unerträgliche.
Als besonders wertvoll erscheint mir bei den vorliegenden Aufnahmen auch die angemessene Berücksichtigung des Pedalspiels durch die Kameraführung, dessen Einüben hier in letzter Zeit einige Male angesprochen wurde. Wirklich eindrucksvoll dabei ist z.B. das Pedalsolo zu Beginn der Toccata BWV 564, ausgeführt in sauberem barockem Spitzenspiel!
Es bereitet nicht nur Freude beim Zusehen und Zuhören, sondern auch beim Versuch dasselbe, natürlich in zunächst deutlich gemäßigterem Tempo, auf dieselbe "Arth" auszuführen, bzw. einzuüben.....

Viel Spaß dabei, an alle die nacheifern wollen,

Sweevaldi


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02.09.2017 18:00
avatar  PeterW
#2 RE: Amtliche Bach-Interpretationen, Pedalspiel
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+ 12.1.2018

Beim Terminus "amtlich" würde sich Basti den Bauch vor Lachen halten.
Dennoch: die Holländer versuchen, sich ihm zu nähern, wobei immer spekulativ bleiben wird, was in Bachs Nähe kommt, von gewollter Authentizität ganz zu schweigen.
Die Tempi scheinen ein wenig gemäßiger angelegt worden zu sein, als Virtuosen selbstdarstellerisch zuweilen hinlegen. Die "Wahrheit" liegt für uns dennoch im Dunkel, und niemand kann sagen, daß Raminsche Tempi vielleicht doch "richtiger" sind, auch wenn sie uns heute sonderbar anmuten.
Ach, soll doch jeder spielen, wie er's für richtig hält. Das gleiche gilt für Spitze vs. Germani.

Auf jeden Fall ist diese Seite beachtenswert.


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02.09.2017 22:58
avatar  Klassikfreund ( gelöscht )
#3 RE: Amtliche Bach-Interpretationen, Pedalspiel
Kl
Klassikfreund ( gelöscht )

Herzlichen Dank für diesen Link!

Das ist für mich eine wahre Fundgrube, noch dazu in tadelloser Qualität!

LG Klassikfreund


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04.09.2017 08:09 (zuletzt bearbeitet: 05.12.2021 19:33)
#4 RE: Amtliche Bach-Interpretationen, Pedalspiel
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Moderator

Zitat von PeterW

Beim Terminus "amtlich" würde sich Basti den Bauch vor Lachen halten.
Auf jeden Fall ist diese Seite beachtenswert.



Beidem ist eigentlich nix hinzuzufügen.

Aber wie viele Leute habe ich schon kommen sehen, spielen hören und gehen sehen, die behauptet haben, so und nicht anders "müsse" man Bach spielen.
Griepenkerl/Roitzsch schreiben im Vorwort ihrer noch in meinen Studienjahren als "amtlich" geltenden Bach-Ausgabe (bei Peters) aus den 1850ern im Vorwort, dass die Pastorale mit 32'ern im Pedal und 16'ern im Manual zu spielen sei. Ich habe das mein Lebtag niemanden so spielen hören ...

Zwischen "legato absolu" und staccato-Holzhackertum ist mir so ziemlich alles als "amtlich" verkauft worden. Auch die Tempi zwischen Albert Schweitzer und Ton Koopman wurden alle irgendwie "gerechtfertigt".
Ein (völlig zu Recht) renommierter akademischer Lehrer an einer süddeutschen Hochschule wollte im Rahmen einer Fortbildung mal, dass ich (auf einem herrlichen, doppelt geschweiften Pedal einer phantastischen Sandtnerin) die f-moll-Fuge 534/2 im Pedal nur mit den Spitzen spiele. Denn dann komme bei jeder Bassdurchführung eine andere Phrasierung heraus. Da wo ich gelernt habe, war "amtlich": Wenn man inkonsequent phrasierte, brauchte man erst gar nicht anzutreten, bevor dieser Mangel abgestellt war.

Für mich gilt nach wie vor, was Flor Peeters in seiner Orgelschule schreibt: Jeden Ton so genau wie möglich und so schön wie möglich spielen. Die Tempi geben Instrument und Raum vor. Oberstes Ziel ist Deutlichkeit.

Marie-Claire Alain legitimiert ihre letzte Bach-Einspielung auf historischen Instrumenten unter anderem damit, dass das Instrument die entscheidenden Vorgaben für das Spiel mache. Und dass es darum gehe, sich dem unterzuordnen.
Die Makellosigkeit und Brillanz ihres Spiels haben mich an ihren LP-Aufnahmen an Marcussen-Orgeln aus den frühen 60ern fasziniert.
40 Jahre später habe ich ihre Abgeklärtheit und ihre packende musikalische Rhetorik an einer Silberfrau oder einer Schnitgerin bewundert.

Ich misstraue jedem Dogma - und denen, die Dogmen aufstellen, noch mehr. Sympathisch war mit Ewald Kooiman, bei dem ich mal einen Kursus gemacht habe. Er stellte uns seine Art des Bachspiels vor, ohne sie zur Ehre der Altäre zu erheben. Über meine Dupré-Pedalsätze hat er zwar gelächelt, meinte aber absolut ironiefrei, ich solle das ruhig weiter so machen.

Bis heute behaupten die Franzosen, Gralshüter der "einzig wahren" Bach-Tradition zu sein - über Bach, Kittel, Hesse, Lemmens, Guilmant, Widor und Dupré und den großen Schülerkreis des Letzteren sei sie in Frankreich ununterbrochen und authentisch überliefert worden.
Das ist dann wohl so zu verstehen wie die angebliche "apostolische Sukzession" in der kath. Weihehierarchie.

LG
Michael


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05.09.2017 12:53
#5 RE: Amtliche Bach-Interpretationen, Pedalspiel
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Moderator

Derzeit gilt wohl in der Fachdiskussion als konsensfähig, dass es verschiedene Zugänge, Betrachtungs- und Spielweisen des Bach'schen Orgelwerkes gibt, die einerseits auf Tradition, andererseits auf dem momentanen (und durchaus im "Fluß" befindlichen) Stand musikwissenschaftlicher Erkenntnis beruhen. Und die alle zumindest erwägenswert sind - in Ermangelung originaler Tondokumente. Lediglich die Augen- und Ohrenzeugenberichte vermitteln einen vagen Eindruck von Bachs Spielweise. Und die lassen durchaus Lücken im Erkenntnisstand. Zudem klafft eine weitere Lücke zwischen der bloßen exakten Wiedergabe des Notentextes und der Interpretation im (durchaus legitimen) Sinne von Ausdeutung. Darf man Bachs WTK auf dem modernen Klavier spielen oder nur auf einem Cembalo? Kann man Bach auf Orgeln der Romantik spielen? Das waren die Einstiegsfragen in eine Diskussion, die bisweilen mit der Inbrunst eines Glaubenskrieges geführt wurde. Sie sind längst beantwortet.

Da sich derjenige, der uns hier seine Dogmen verkünden wollte, inzwischen als der erwiesen hat, den wir schon länger hinter dieser Scheinidentität vermutet hatten und der hier schon mehrfach "Hausverbot" erhalten hat, habe ich diesen Thread wieder geöffnet für einen fruchtbaren Austausch über die schönen Aufnahmen, auf die uns Sweevaldi freundlicher Weise aufmerksam gemacht hat.

LG
Michael


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09.09.2017 12:28
avatar  Machthorn ( gelöscht )
#6 RE: Amtliche Bach-Interpretationen, Pedalspiel
Ma
Machthorn ( gelöscht )

Ich tu mich schwer mit streng dogmatischen Interpretationen. Sie wirken auf mich kühl und fast steril. Der Barock war jedoch eine stark emotional geprägte Epoche, ein stetiges Spannungsfeld zwischen Lebendfreude und Todesangst - so wurde es mir zumindest mal gelehrt.

Wenn man sich heute z.B. barocke Architektur ansieht wird man feststellen, dass eine sehr strenge Grundstruktur durch reichlich Ornamentik und feine gewollte Asymmetrien erst ihre große Ästehetik bekommt. Ähnlich stelle ich mir eine historisch orientierte Musikinterpretation vor. Die geschriebene Grundstruktur ist streng, mathematisch, nüchtern. Der Interpret aber ist mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln aufgefordert, das Werk ästhetisch auszugestalten.

Von Händels zahlreichen Konzertreisen wissen wir, dass jedes Werk an jedem Spielort anders geklungen haben muss, weil er sich stets neu den Gegebenheiten angepasst hat. Ich vermute, dass das dem Geist der Zeit entspricht und mit Bach genauso verfahren werden sollte. Man spiele ihn halt so, wie es Raum, Instrument, Anlass, Gusto und Fertigkeit erlauben - solange es gut klingt und man die Grundstruktur nicht verletzt.


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09.09.2017 12:45 (zuletzt bearbeitet: 05.12.2021 19:35)
#7 RE: Amtliche Bach-Interpretationen, Pedalspiel
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Moderator

Ich sehe das ganz genau so. :dafuer:

Schulen und Traditionen sind wichtig. Aber irgendwann wird jeder Schüler erwachsen und sollte das Erlernte kreativ weiterentwickeln. Dabei gibt es natürlich Extreme: Auf der einen Seite einen Interpreten (im wahrsten Wortsinn) wie Cameron Carpenter, der die Interpretation bis in Grenzbereiche treibt und deswegen ja von den "seriösen" Dogmatikern befehdet wird. Auf der anderen Seite die fast sklavischen Imitatoren. (In der französischen Schule hört man häufig den Satz: "Mes maitres m'ont dit ..." - meine Lehrer haben mir gesagt.)

Irgendwo zwischen den Eckpunkten dieser Skala darf und soll sich jeder verorten, der Bachs Musik spielen will - und sich davor hüten, seine Art des Spiels als die "einzig wahre" zu propagieren. Der "einzig wahre" Interpret des Bach'schen Oeuvres starb am 28. Juli 1750.

LG
Michael


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09.09.2017 12:54
avatar  wohli
#8 RE: Amtliche Bach-Interpretationen, Pedalspiel
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Zitat von Wichernkantor

Der "einzig wahre" Interpret des Bach'schen Oeuvres starb am 28. Juli 1750.

LG
Michael



Wie wahr!
LG Bernd


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09.09.2017 12:59
avatar  Sweevaldi ( gelöscht )
#9 RE: Amtliche Bach-Interpretationen, Pedalspiel
Sw
Sweevaldi ( gelöscht )

Hallo Michael!
Gut so, die Entscheidung pro Diskussion!
Keineswegs war es meine Absicht, durch die etwas blauäugige Verwendung des Terminus "amtlich" eine absolute Wertung in den Raum zu stellen, nur weil MIR persönlich die zitierten Interpretationen so ausnehmend gut zusagen.
Weltweit gibt es ja bekanntlich sehr zahlreiche Ämter, manche davon sogar "Hochämter", die jeweils IHRE individuelle Vorstellung von "amtlich" haben, und die sich jedoch deutlich voneinander unterscheiden.
Im Kern war mit "amtlich" nur gemeint, das es sich meines Erachtens um sehr gute Einspielungen handelt, die, ebenfalls vermutet, auch dem bekanntlich gestrengen Blick des Urhebers der genialen Musikstücke selbst, standhalten würden.
Selbstverständlich hat jeder das Recht, bestimmte Interpretationen oder Spielweisen der Bach'schen Musik im Allgemeinen und der betreffenden Orgelmusik im Besonderen, zu bevorzugen. Sobald die "Wissenschaft" sich damit befasst, steigt naturgemäß die Zahl möglicher "gültiger Spielweisen" mit der Anzahl der betreffenden "Schulen" exponentiell an, und jeder hat irgendwie Recht.
Im Hinblick auf die zelebrierten Maximaltempi, die einem heutzutage bei bestimmten Stücken des Großmeisters immer häufiger präsentiert werden, ohne jetzt auf ausgesprochene Negativbeispiele namentlich einzugehen, stechen die in der zitierten Sammlung gespielten eben dadurch positiv hervor, dass sie gerade nicht dem allgemeinen Tempowahn frönen, sondern mit sorgfältiger Ausgewogenheit die Durchhörbarkeit des jeweiligen musikalischen Ereignisses, im Sinne der Anweisungen des Komponisten im Notentext, angemessen berücksichtigen, ohne in den "Fahrstil" von Tempo beschränkten Anfängern zu fallen. Also: schneller ist nicht grundsätzlich besser!
Für MICH persönlich ist es daher so, dass diese Aufnahmen beim Anhören enormes Vergnügen bereiten, ebenso, wie sie als Anregung für eigens Üben nützlich erscheinen.
Bemerkenswerterweise handelt es sich bei "allofbach" um ein Projekt unserer niederländischen Freunde und Kollegen, die hier mit bewundernswertem Engagement erfolgreich zu Werke gehen. Wo finde ich das Pendant aus der Heimat des großen Barockmeisters, noch dazu kostenlos im Internet anzuhören?

Viele Grüße,
Sweevaldi


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09.09.2017 13:08
#10 RE: Amtliche Bach-Interpretationen, Pedalspiel
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Moderator

Mir war schon klar, wie Du den Begriff "amtlich" verstehst. Mir ging es nur darum, diesen Erzdummschwätzer daran zu hindern, hier seine Ignoranz weiter zum Maßstab der Diskussion zu machen. Er hat sich ja dann in einem anderen Thread als ein mehrfach des Forums Verwiesener enttarnt.

Ich höre die Aufnahmen auch mit Gewinn. Sie sind außerdem von erfreulich guter technischer Qualität. Oft birgt YT ja in Sachen Orgelmusik ein beträchtliches Abschreckungspotential ... [grin]

Eine sehr gute Einführung in die verschiedenen Perspektiven der Materie bietet m.E. folgendes Buch:

https://www.amazon.de/Interpretation-Org...e/dp/3875372158


Darin findet sich eine Vielfalt von Sachinformationen aus anerkannten Quellen und von anerkannten Autoritäten - u.a. auch zur damaligen Praxis des Pedalspiels und der Ornamentik.
Mein Exemplar stammt aus 1995. Da es das Buch noch gibt, scheint es nicht sonderlich "überholt" zu sein.

Wer in die intensive formale Analyse der Orgelmusik Bachs einsteigen will, dem rate ich zu folgendem dreibändigem Opus magnum von Peter Williams, das im "Bach-Jahr" 2000 erschienen ist:

https://www.eurobuch.com/buch/isbn/3795718724.html

Ein umfassendes Kompendium zu jedem einzelnen Orgelwerk, gerade Band 3 ist erhellend, denn in ihm analysiert der Autor die strukturellen Prinzipien in Bachs Orgelmusik. Danach ist man nicht dümmer ... [grin]

LG
Michael


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