Unnötige Kirchentonarten im Gotteslob?

19.12.2010 21:21
#1 RE: Unnötige Kirchentonarten im Gotteslob?
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Administrator

Als ich heute GL 114 aufschlug, "Es kommt ein Schiff geladen", war ich etwas verwundert bzw. ein wenig verärgert. Meiner Meinung nach steht das Lied eindeutig in d-Moll; warum notieren es die Herausgeber des Gotteslobs dann aber in d-Dorisch? Das einzige "b" wird dann per Vorzeichen durchgeführt.
Wurde hier quasi künstlich eine Kirchentonart bemüht?

Ähnliches bei GL 105 "O Heiland, reiß die Himmel auf" oder GL 108 "Komm, du Heiland aller Welt".


Ich verkaufe meine Orgel, eine Gloria Concerto 234 Trend DLX. Bei Interesse bitte PN oder Mail.

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19.12.2010 22:26
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#2 RE: Unnötige Kirchentonarten im Gotteslob?
pv
pvh

Hallo,

Zu GL 114:
Das ist ja nun ein ziemlich altes Lied, überliefert aus der Zeit, als es nur Kirchentonarten gab. Die ersten beiden Verse sind in D-dorisch gehalten, dann wird moduliert, der 3. Vers steht in F-ionisch, also einer Art F-Dur. Der 4. Vers steht wieder in D-dorisch. Der Wechsel des Modus geht übrigens auch mit einem Taktwechsel (6/4 - 4/4) einher. Vielleicht täusche ich mich, aber ich glaube mich zu erinnern, den letzten Vers auch schon im 6/4-Takt gehört zu haben.

Zu GL 105:
Das ist reines D-dorisch, sogar h kommt in der Melodie vor.

Zu GL 108:
Eines der ältesten Lieder im GL überhaupt (auch bekannt als "Nun kommt der Heiden Heiland", überliefert aus einer Zeit als noch kein Dur-Moll gab. Wieder reines F-dorisch, kein Moll. In meiner Pachelbel-Ausgabe steht das in A-dorisch ohne Vorzeichen, es finden sich aber vor fast allen F ein Kreuz, Buxtehude schreibt im Original in G-dorisch, Beckmann notiert das Choralvorspiel in seiner Ausgabe aus unerfindlichem Grund aber in g-Moll, muss dann ständig Auflösungszeichen vor das Es setzen.

Bei der Harmonisierung machen x-dorisch und x-moll schon einen (stilistischen und harmonischen) Unterschied. Im (Früh-)Barock wurde Moll sehr oft als "Dorisch" notiert, das "fehlende" Vorzeichen schrieb man vor die Noten (Leitton), soweit notwendig. Ach, und Späth schreibt seine Toccata im 7. Ton mit 2 Kreuzen als A-Mixolydisch, das Gis-Kreuz schreibt er ständig dazu. Ist also de facto schon reines A-Dur. Zur Zeit der Mitteltönigkeit war man wohl auch bestrebt, ein drttes Vorzeichen nach Möglichkeit zu vermeiden.

Beste Grüße von der Waterkant
Christoph P.


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19.12.2010 22:39
#3 RE: Unnötige Kirchentonarten im Gotteslob?
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Administrator

Danke für die ausführliche Stellungnahme. Hinsichtlich GL 105 und GL 108 keimt ein gewisses Verständnis bei mir auf. In unserem alten Gesangbuch "Betende Gemeinde" (Vorgänger des GL) waren diese Lieder alle in reinem Dur oder Moll notiert. Ist das grundsätzlich falsch?
Hinsichtlich GL 114 tue ich mir (noch) schwer; Moduswechsel — nun gut. Aber wie erkennst du den? Und was hindert mich daran, das Lied einfach als d-Moll zu betrachten? Einfach die Entstehungszeit, die weder Dur noch Moll kannte? Wenn ich mir den Orgelsatz (Gotteslob) dazu ansehe, sehe ich keinen zwingenden Grund für dorisch.


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