Peters oder Bärenreiter - Wer hat Recht ?

10.01.2014 22:13
avatar  Romanus ( gelöscht )
#1 RE: Peters oder Bärenreiter - Wer hat Recht ?
Ro
Romanus ( gelöscht )

Jedem,der wie ich die beiden bekanntesten Bach-Gesamtausgaben (Edition Peters und Bärenreiter) besitzt und diese miteinander vergleicht,dürfte längst aufgefallen sein,daß es bei einigen Stücken kleine Unterschiede gibt.
Aber bei keinem mir bekannten Stück sind die Unterschiede so gravierend wie beim
Choralvorspiel "Allein Gott in der Höh´sei Ehr´" BWV 715.

Teilweise beruhen die Unterschiede wahrscheinlich darauf,daß das Stück original nur mit beziffertem Bass notiert war,der ja bekanntlich individuelle Unterschiede beim Aussetzen aller Stimmen erlaubt,wie z.b. in den Takten 3 und 15. InTakt 3 steht bei Peters auf der 2. Achtelnote im Tenor ein h,das bei Bärenreiter überhaupt nicht vorkommt.

In Takt 5 wird´s aber richtig spannend:
Bei Peters beginnt der 32stel-Lauf der Bass-Stimme schon während der Viertel-Fermate auf h im Tenor,während bei Bärenreiter der Bass-Lauf erst nach Ende der Viertelnote einsetzt.
In Takt 10 ist es genau umgekehrt: Der 32stel-Lauf der Sopranstimme beginnt bei Bärenreiter gleichzeitig mit der Viertel im Tenor,während bei Peters der Sopran-Lauf erst nach Ende der Tenor-Viertelnote einsetzt.
Außerdem setzt Peters in beiden Takten auf der h-Viertelnote im Tenor jeweils eine Fermate,die bei Bärenreiter fehlt.

Ich will das Stück dieses Wochenende als Postludium spielen und würde daher gern Expertenmeinungen lesen,welcher Ausgabe eher zu trauen ist.

Nachdem ich das Stück ursprünglich nach der Bärenreiter-Ausgabe gelernt habe und den Notensatz auf 2 Seiten (Peters braucht für dasselbe Stück nur eine Seite) für´s Auge angenehmer finde,neige ich aus Bequemlichkeit eher dazu,es nach Bärenreiter zu spielen,der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier. [wink]
Oder sollte ich es in Zukunft besser nach Peters spielen ? :S


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11.01.2014 10:59
avatar  pvh
#2 RE: Peters oder Bärenreiter - Wer hat Recht ?
pv
pvh

Hallo,

ich verwende in Fällen, wo es sonst keine besonderen Gründe gibt, die neuer Ausgabe, weil ich davon ausgehe, dass dort der aktuellste Forschungsstand eingeflossen ist. Bach wäre vermutlich aber sogar auch damit einverstanden, dass man manches ganz anders spielt, als er das gemacht und aufgeschrieben hat. Ich passe Choralvorspiele daher manchmal ein bischen an den/die heute üblichen Rhythmus und/oder Melodie an.

Beste Grüße von der Waterkant
Christoph P.


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11.01.2014 11:48
#3 RE: Peters oder Bärenreiter - Wer hat Recht ?
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Moderator

Die Arpeggien zwischen den Verszeilen sind mehr oder weniger ad libitum. Das Stück war übrigens mit hoher Wahrscheinlichkeit ein - BEGLEITSATZ! In den Quellen (es gibt keine Autographe!) haben die Choralzeilen Generalbaßbezifferung, die Arpeggien sind ausnotiert. Wobei nicht immer klar ist, ob jetzt zwei, drei oder vier Balken dastehen und zwischen welchen Tönen sie sich befinden. Die Abschriften weichen z.T. erheblich voneinander ab. Je jünger die Quelle, desto wahrscheinlicher wurde "Dazukomponiert", bzw. vermutlich eher weggelassen ...
Bach brachte derlei von seinem "Bildungsurlaub" bei Buxtehude mit. In Arnstadt wurde damals sehr langsam gesungen, mit fetten Fermaten auf den Zeilenschlüssen. Und die dadurch entstehenden Pausen nutzte der junge Wilde, um seine Gemeinde "mit frembden Thönen zu confundiren", wie es in einer "Anklageschrift" des hochwohllöbl. Konsistoriums heißt.
Noch um die Wende zum 19.Jh. waren solche Praktiken in Thüringen und Sachsen üblich. Rinck gibt in seiner Orgelschule noch Anweisungen, dass und wie solche Zeilenzwischenspiele auszuführen sind.

Ich habe gerade mal noch in ein paar Bach-Einspielungen meines CD-Fundus' hineingehört. Ob Walcha, Alain, Herrick, Preston, Richter, Weinberger - jeder macht es anders. Also Mut zur Individualität.
Ich spiele übrigens aus der guten, alten Duprè-Ausgabe mit den eleganten Fußsätzen. Nur für die nach fast 50 Jahren arg zerschlissenen Bände habe ich mir als Ersatz die (jetzt ja schon wieder veraltete) Breitkopf-Ausgabe von Lohmann besorgt.

LG
Michael


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11.01.2014 22:06
#4 RE: Peters oder Bärenreiter - Wer hat Recht ?
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Auch ich nenne Duprè-Ausgaben mein Eigen. Nun habe ich mir ein paar der neuen Breitkopf & Härtel Urtextausgaben zugelegt. Bei vielen Landorganisten ist überwiegend die Edition Peters im Einsatz. Meine Orgellehrerin schwört auf die Bärenreiter Urtextausgabe.

Darum meine Frage an die Experten hier im Forum:
Wie bewertet Ihr die folgenden Ausgaben - auch hinsichtlich der Korrektheit und Praxistauglichkeit ??

- neue Breitkopf & Härtel Urtextausgabe
- Bärenreiter Urtext
- Duprè-Ausgabe
- Edition Peters


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12.01.2014 00:23
avatar  PeterW
#5 RE: Peters oder Bärenreiter - Wer hat Recht ?
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+ 12.1.2018

BWV 715 ist hinsichtlich der Quellenlage etwas schwierig, weil nur in Kellers Konvolut vorhanden. Die Textkritik (Seite oben, bezogen auf S. 44) aus der alten BGA, Bd. 40 (Ernst Naumann, 1893) gibt darüber einige Auskunft.

Im übrigen taugt die Frage nach der "besten Ausgabe" nur dazu, heilige Kriege zu entfachen.
Dabei sind Peters sowie Breitkopf & Härtel für Bachs Orgelwerke die ältesten Autoritäten und nicht etwa nur "Landorganists Plaisir".

Zitat von Wichernkantor
Je jünger die Quelle, desto wahrscheinlicher wurde "Dazukomponiert", bzw. vermutlich eher weggelassen ...

Das sehe ich genauso, so daß der Texttreue der Epigonen Dupré und Bärenreiter m. E. eine geringere Wichtung zukommt, obwohl diese unter spieltechnischem Aspekt vielleicht geschmeidiger daherkommen.


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12.01.2014 18:31
#6 RE: Peters oder Bärenreiter - Wer hat Recht ?
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Moderator

Die Frage kann nicht lauten: "Wie korrekt?", sondern: "Auf welche Quelle geht der Text zurück?" Es gibt bisweilen mehrere "korrekte" Fassungen - Breitkopf/Lohmann listet sie in seinen Anhängen sorgfältig auf.

In meiner Studienzeit in den 70ern mussten wir Peters verwenden, weil das der damals "urigste" Urtext war. Außerdem sollten wir uns ja Finger- und Fußsätze selber erarbeiten. Was haben wir gemacht? Die schönen Fußsätze von Dupré zu Beginn eines jeden Werkstudiums zuerst mal von Hand übertragen - mit einigen kleinen "Individualitäten", damit es nicht so auffiel. Unseren Profs fiel das natürlich auf, sie grinsten sich eins und tolerierten es. Fingersätze waren schon eine bedeutend individuellere Sache. Ich habe später meistens aus der Dupré gespielt. Als Ersatzbeschaffungen notwendig wurden, habe ich mich für Breitkopf/Lohmann (also die jetzige "alte" entschieden, wegen der umfangreichen Anhänge und des ausgezeichneten Notenbildes mit durchdachten Wendestellen. Als jetzt die neue Breitkopf erschien, habe ich mir schnell noch zwei alte Bände gekauft - auf Vorrat ...
Gerade bei den Choralbearbeitungen der Kirnberger-Sammlung gibt es einige reizvolle Varianten. Das kleine "Wer nur den lieben Gott läßt walten" ist in der Variante mit den eingeschobenen Ritornellen ein aparter kleiner Konzertsatz und macht sub sacramentum mehr daher als der colorierte c.f allein.
Das Variantenstudium lohnt sich schon, finde ich. Vor allem lernt man, dass Bach selber seine Werke nicht als abgeschlossen betrachtete und seine Schüler und Kopisten durchaus daran arbeiten durften oder vielleicht auch ohne Lizenz des Meisters daran gearbeitet haben. Allein wegen der unterschiedlichen Instrumente mit voneinander abweichenden Klaviaturumfängen und Tastenteilungen waren Umarbeitungen wohl unerlässlich.

LG
Michael


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17.01.2014 10:13
#7 RE: Peters oder Bärenreiter - Wer hat Recht ?
cl

... besonders in der Liturgie bleibt doch letztendlich wichtig: was musikalisch (und spirituell) dabei raus- und beim Zuhörer ankommt. Grundsätzlich bleibe ich in der Praxis meinem Dupré treu. Ausnahmen bestätigen bei mir für alle gedruckten Bachwerke die Regel. Mitunter benutze ich die eine Ausgabe wegen des Forschungsstandes des Notentextes - die andere wiederum wegen der günstig gelegeneren Wendestellen, ums allein bewerkstelligen zu können. Mitunter kommen sogar "edierte" Bäche zum Einsatz (dazu zähle ich u.A. die alten Straubeausgaben), weil sie gerade zum Instrument, zum Raum, zum Anlaß "Sinn machen" oder auch nur "meiner" inneren Stimmung entsprechen.... Allein für´s kleine e-moll habe ich fünf verschiedene Interpretationen erarbeitet. In meiner Ausbildung wurde ich schon dazu erzogen, über den Tellerrand hinauszuschauen. (Vom Finger-/Fußsatz bis zur Linienführung, legato/nonlegato, ....eine "einheitliche Bachdogmatik" tut seiner Musik nicht unbedingt gut. Mir macht es Freude, wenn man durch Veränderung seiner Technik bei (fast) gleichem Notentext, ein Stück völlig neu gewandet daher kommt. An dieser Stelle schaue ich übrigens mitunter gerne mal bei den Aktivitäten von CC nach.... auch wenn es hier einige als Sakrileg ansehen.

Liebe Grüße vom Clemens

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