Nochmals: Physis

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13.10.2013 04:20
avatar  Michal ( gelöscht )
#1 RE: Nochmals: Physis
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Michal ( gelöscht )

Vorweg, ich arbeite nicht für Viscount. Ich widme mich aber seit fast 40 Jahren der Klangsynthese und den Möglichkeiten reale elektronische, mechanische und vor allem elektromechanische Instrumente zu simulieren.
Begonnen hat dies mit dem Wunsch der Simulation einer Tonradorgel mittels analoger Elektronik. Mit analoger Elektronik waren wunderbare Instrumente machbar, die hervorragende Klangeigenschaften hatten (analoge Synthesizer, analoge Sinusorgeln usw.), aber nicht die originalgetreue Nachahmung einer elektromechanischen Tonradorgel, genau wie es dieser seinerzeit nicht gelang eine Pfeifenorgel zu imitieren. Mit Einzug der Digitaltechnik in den 80er Jahren (FM-Synthese) entstanden noch mehr Klangmöglichkeiten, aber die digitale Nachbildung von analogen elektronischen Instrumenten war damit ebenfalls nicht möglich.
Erst Sampler boten die Möglichkeit Konserven von originalen Instrumenten (egal welcher oben aufgezählten Art auch immer) wiederzugeben.
Dennoch waren die ganzen individuellen Unzulänglichkeiten einer Tonradorgel mittels Sampletechnik nicht befriedigend einzufangen.
Erst die Technik der physikalischen Modellierung (Physical Modelling, kurz PM), also die Abbildung komplexer akustischer und technischer, bzw. elektrisch (analoger) Zusammenhänge durch mathematische Formeln machte es möglich Tonradorgeln digital realitätsnah zu generieren.

Wo liegen also die Vorteile des PM gegenüber den Samplern?

Hierzu ein Vergleich zur Grafik auf digitaler Ebene. Es gibt Pixelgrafiken (die üblichen Bilder im Internet von Scans oder der Digitalkamera), deren einzelne Pixel man auch als Sampel eines Bildpunktes auffassen kann (bei Scans nennt man das tatsächlich Sample per Inch – SPI). Eine solche Ansammlung von Samples ergibt ein Bild, das wirklich real aussieht – je nachdem, mit höherer oder niedriger Auflösung oder Qualität der Bildpunkte. Es ist auf digitaler Ebene mittels Bildbearbeitung auch problemlos möglich verschiedene Eigenschaften zu bearbeiten. Das Ergebnis ist dann ein Abkömmling oder Abänderung des ursprünglichen Bildes.
Und es gibt Vektorgrafiken. Hier beschreibt eine mathematische Gleichung eine Form einer Linie oder Kurve, etc. Ein Kreis stellt hier also keine Abtastung von Bildpunkten eines Kreises dar, sondern eine Formel wie ein Kreis beschrieben wird. Daher ist es leicht diesen Kreis nicht nur zu verändern, sondern vollständig beliebig abzuändern. Man kann daraus eine Scheibe machen und diese auch nach Belieben kippen oder in Perspektive setzen oder gar dreidimensional darstellen und im Bild umherfliegen lassen. Jetzt möchte man meinen, dass damit nur relativ primitive „Bilder“ darzustellen sind. Mit neuerer Computertechnik ist das aber nicht mehr so. Heute kann man nahezu jede Pixelgrafik mittels Parametrisierung in eine Vektorgrafik umwandeln, also die anscheinend relativ ungeordneten Bildpunkte durch mathematische Algorithmen ersetzen. Andererseits ist es möglich auch originär mit Vektoren erstellte Grafiken so real aussehen zu lassen, dass es erschwingbar ist ganze Filme mit Computeranimation zu spicken ohne, dass noch erkennbar ist was real und was Computergrafik ist. Interessant ist hier, dass für die weitere Fortführung des Filmes nur eine Ausgangssituation nötig ist aus der mit Mitteln der Bildsynthese direkt weitere Sequenzen, bzw. Bilder erzeugt werden können.
Sind also erst einmal die entscheidenden Parameter der Ausgangslage bekannt benötigt man nicht mehr zwangsläufig einen absoluten realen oder gemessenen Wert um eine digitale Abbildung generieren und fortführen zu können.
Und genau das ist der Vorteil von PM welches sich ungefähr so wie eine Vektorgrafik verhält. Es ist gar nicht mehr wichtig einen bestimmten Wert eines realen Pfeifenklangs zu kennen solange die Abhängigkeiten der einzelnen Pfeifenparameter und eine bestimmte Ausgangslage bekannt sind.
Das bedeutet, dass ich dann mit relativ einfachen Mitteln beliebige Pfeifen nachbilden kann. Man kann sogar auf digitaler Ebene vorhersagen wie der reale Klang sich ändert wenn man einen einzelnen Parameter ändert und dieser dann durch Abhängigkeiten weitere Parameter mit verändert.
Das geht weit über das Wiedergeben mehr oder weniger veränderbarer Konserven hinaus.
Nun eine Tonradorgel hat meist nur 91 TonräDer und nicht tausende von Pfeifen. Daher war die Realisation einer Nachbildung durch PM hier auch sehr früh schon erfolgreich.
Erst modernste Computertechnik (und natürlich das Verständnis der Abhängigkeiten) machten es möglich Pfeifenorgeln zu modellieren.
Bei sehr kurzen und hochkomplexen Klangereignissen, wie z. B. Percussion stößt das PM aber auch heute noch an die Grenzen des technisch machbaren. Daher gibt es auch noch keine digitale Theaterorgel in PM-Technik obwohl die ja weitaus weniger Pfeifen hat.
Mit welch gutem Ergebnis aber heute schon Pianos modelliert werden können, zeigt, dass sich was tut.

Nun was bedeutet das für die Digitalorgel?

Wenn ich eine Fotographie einer hübschen Frau im Computer speichern möchte, werde ich das sicher als Pixelgrafik tun, also fotorealistisch machen und sie nicht zur Vektorgrafik parametrisieren, denn es liegt mir ja nicht daran irgendwas an ihrer Schönheit zu manipulieren und ihr also beispielsweise eine lange Nase wachsen zu lassen, die im Gesicht wie ein Hubschrauberflügel rotiert.
Wenn ich aber eine Pfeifenorgel im Wohnzimmer haben will, ist es schon die Frage ob eine symphonische Orgel mit 100+ Registern akustisch realistisch da in mein Zimmer hineinpasst. Ja, es geht schon, ich kann ja auch eine CD wiedergeben und es klingt gut, aber man kann nicht sagen, dass man da ein zum Spielen akustisch passendes Instrument im Wohnzimmer hat. Wenn man die Augen zumacht und eine entsprechend gute Anlage hat, dann könnte man sich vielleicht die Skinner-Orgel vorstellen. Ob die 32-Füsser und die Hochdruckregister aber wirklich gut klingen mag ich bezweifeln (zur Erinnerung ich habe durchaus eine große Hauptwerk-Installation). Mit offenen Augen geht das zumindest in meinem Hirn nicht so gut.
Mit PM (und dieses auch mit den Bordmitteln der Physis-Orgel) kann ich noch lange bevor ich den Klang mit nachgeschaltetem digitalen Signalprocessing wohnzimmertauglich machen müsste die Register so wählen, dass ich kein übertriebenes Bass-Brummen habe und auch einzelne Stimmen so intonieren, dass beispielsweise der durch üppige Polstergarnituren geschluckte Glanz einer Terzzimbel vorhanden ist ohne einen Equalizer dafür benutzen zu müssen. Ich kann also eine Orgel passend zum Raum haben und genau das ist es ja was ein guter Orgelbauer auch macht – er schaut sich zuerst mal den Raum an, oder?
Jetzt verwundert es auch nicht, dass das Tutti einer großen Unico ohne die nötige Intonation im kleinen Raum einfach nur schrecklich klingt. Lassen wir hier die Abstrahlung mal ganz außen vor.

Die Concerto scheint mir in Sachen "Heimtauglichkeit" aber tatsächlich ein kleiner Quantensprung zu sein.

Und doch wird es immer auch Samplerorgeln geben und geben müssen. PM wird diese nicht ersetzen, denn ein historisches oder spezifisches Instrument kann ich vielleicht (mit extremen Aufwand) mittels PM nachmodellieren, besser (und vom Arbeitsaufwand billiger) - wie beim Bild der schönen Frau - wird aber das konservierte digiatle Abbild sein.

Im Prinzip braucht man glatt beides, also auch Sampler – alleine schon für die Theaterorgeln.

Die Frage was ist besser, PM oder Sampler, erübrigt sich also m. E. generell!

LG
Michal


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13.10.2013 07:54
#2 RE: Nochmals: Physis
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Administrator

Auch hier nochmals danke für die umfassenden und einleuchtenden Erklärungen. Mit dem Vergleich aus der Kunst des grafischen Arbeitens fange ich viel an.

Was Physis für mich reizvoll macht, sind folgenden Punkte:

  • Die je neue Erschaffung des Tons[/*]
  • Kein Loop, sondern fortwährende Prozessierung des Tons[/*]
  • Einzelton-Generierung[/*]
  • Nicht Wiedergabe eines aufgenommenen Tons, sondern echte Erzeugung[/*]

Besonders der letzte Punkt rückt die Physis-Orgel in philosophischer Sicht recht nahe an ihr Vorbild, die Pfeifenorgel. Erstmals (?) im digitalen Orgelbau kommt eine tongenerative und nicht bloß eine reproduktive Technologie zum Einsatz. Einzelton-"Auflösung" kannte man bisher nur aus der Königsklasse des digitalen Orgelbaus; per Physis wird dieses Qualitätsmerkmal nun auch für die unteren Preissegmente geöffnet. Die mit Physis nicht mehr gegebene Notwendigkeit, den Ton zu "loopen", stellt ein weiteres Qualitätsmerkmal dar; eine Samplingorgel kann dies - auch in höchster Preisklasse - aufgrund der Begrenztheit der gewählten Technologie niemals leisten. Erster und letzter Punkt in meiner Aufzählung sind eng miteinander verschränkt: Auch hier überschreitet Physis die Möglichkeiten des Samplings. Beim Sampling wird der Ton immer auf exakt gleiche Weise wiedergegeben. Beim Physical Modeling hingegen wird jeder einzelne Ton bei jedem Anspielen wirklich neu und individuell generiert.

Bedenkt man all das, dann hat Physis - meiner unmaßgeblichen Meinung nach - allemal das Potenzial, Sampling abzulösen. In der Entwicklung mag Physis teurer gewesen sein als die Samplingtechnologie; auf lange Sicht aber wird sich das, was an Denken und Geld investiert wurde, bezahlt machen.
Soweit mein Wort zum Sonntag.


Ich verkaufe meine Orgel, eine Gloria Concerto 234 Trend DLX. Bei Interesse bitte PN oder Mail.

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13.10.2013 11:39
avatar  Michal ( gelöscht )
#3 RE: Nochmals: Physis
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Michal ( gelöscht )

Na eigentlich hat bisher jede elektronische Orgel, außer der Sampler-Orgel den Ton eigenständig generiert. Die elektromechanische Orgel mittels additiver Synthese, die Analogorgel mit subtraktiver Synthese und die Digitalorgel unter anderem mit FM-Synthese.
Jede dieser Tonerzeugungen hatte und hat ihre Reize.
Die ersten beiden – und v. a. die Erste brachte gewisse Variationen des Klangs durch Bauteilvarianzen und Alterung wie auch technische Unzulänglichkeiten (Keyclick, Übersprechen, Sättigung der Verstärker und vieles mehr) mit. Und interessanter Weise machte genau das ihren Reiz aus. Die zwangsläufige Entfernung vom "Idealton" durch die technischen Nebeneffekte macht den unnachahmlichen und so tollen Klang der Tonradorgel aus. Auch alte Analogorgeln (auch Schweineorgeln genannt) hatten ihren besonderen "Schmelz".
Erst die Digitaltechnik brachte mit Ihrer nüchternen und starren Umsetzung von analogen komplexen Signalen in nüchterne Zahlenpakete einen sterilen und langweiligen Klang.
Heute ist die Herausforderung eigentlich die, auch in diesen Zahlen die Ganzheit der natürlichen Variationen auszudrücken. Die reine PCM-Technologie reichte hier nicht aus. Weder bei der Klangerzeugung, noch bei der Wiedergabe. Das erklärt auch das zeitweise (und bis heute andauernde) Revival der alten Analogtechniken (und auch Röhrentechnik). Daher waren Sampler bei den Musikinstrumenten eine echter Gewinn und Fortschritt. Heute kann man mit PM und DSP allerdings viele dieser "Unzulänglichkeiten" (z. B. bei Pfeifenorgeln den Winddruckabfall) errechnen und somit simulieren.

Momentan, denke ich, dass beide Techniken ihre Daseinsberechtigung haben – Sampler, wie auch PM.

Das für mich persönlich fantastische ist aber (auch wenn es hier im Forum sicher niemanden interessiert), dass man heute günstig, wie nie zuvor, Old-School Instrumente sich als Software oder Expander nachhause holen kann und alles zusammen von einem einzigen Midi-Spieltisch aus spielen kann. Und das ohne der Anfälligkeit der alten analogen und mechanischen Techniken.

Freilich wird man immer behaupten können, dass das Original unerreichbar bleibt, aber so manch alter Hase ist im Blindvergleich heute nicht mehr in der Lage einen Clone vom Original zu unterscheiden (zumindest bei den Tonradorgeln und Synthesizern).

Bei der Pfeifenorgel wurde sozusagen gerade erst mit Physis der Startschuss gegeben. Man darf gespannt sein ob es auch hier mal zur Perfektion der Simulation kommen wird. Ein Problem wird aber bleiben – und das ist der Raum und die Klangabstrahlung. Dieses Problem hat man bei den Tonradorgeln (man kaufe sich ein Leslie) und Synthesizern (wurden immer schon über Lautsprecher wiedergegeben) nicht. Von daher wird der Pfeifenorgelliebhaber im Wohnzimmer immer Abstriche machen müssen. Aber das muss er mangels Raumgröße auch, wenn er echte Pfeifen im Wohnzimmer hat.

LG
Michal


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13.10.2013 12:20
avatar  Michal ( gelöscht )
#4 RE: Nochmals: Physis
Mi
Michal ( gelöscht )

Nachtrag:
... und eben wegen des nahezu unlösbaren Problem des Raums und der Abstrahlung bei Pfeifenorgeln ist – und das nicht nur weil wir hier im Thread der Concerto sind – das neue Surroundsystem ein großer Schritt nach vorne. Man sollte also auch das (und nicht nur das PM) in diesem Thread entsprechend würdigen, gell.

LG
Michal


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13.10.2013 12:44
#5 RE: Nochmals: Physis
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Administrator

Das Surroundsystem gab es ja auch bei anderen Herstellern schon.
Die betreffenden Orgeln inspirierten mich jedoch kein bisschen. Surround ist schon gut, aber wenn die Register nicht klingen, nützt auch das nichts. [wink]


Ich verkaufe meine Orgel, eine Gloria Concerto 234 Trend DLX. Bei Interesse bitte PN oder Mail.

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13.10.2013 13:30
avatar  PeterW
#6 RE: Nochmals: Physis
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+ 12.1.2018

Danke, @Michal, für Deine umfassenden und erhellenden Ausführungen.
Da steckt schon einiges Wissen dahinter, an dem wir nun teilhaben konnten.

Zitat von Michal
Bei der Pfeifenorgel wurde sozusagen gerade erst mit Physis der Startschuss gegeben. Man darf gespannt sein ob es auch hier mal zur Perfektion der Simulation kommen wird.

Ohne besonders spitzfindig sein zu wollen, stellt sich mir die Frage, welche Pfeifenorgel (zur Vereinfachung auch erst mal unabhängig vom Raum) simuliert werden soll.
Alle Pfeifenorgeln, selbst die des gleichen Orgelbauers, sind so vielfältig, so daß m. E. wohl keine PO eine andere PO zu "simulieren" vermag.
Für die Brauchbarkeit eines "Musikinstruments Orgel" ist letztenendes ausschlaggebend, ob mit ihm eine Werkinterpretation innerhalb relativ enger Geschmacksgrenzen dergestalt möglich ist, wie man sie dem Komponisten aus musikalischer Erfahrung zuzuordnen gewohnt ist. Daraus ergibt sich ein weites Feld und ein hohes Potential für Streit, worauf schon die elegante Schwammigkeit meiner Formulierung hindeutet :S
Der immer wieder strapazierte Begriff der "Authentizität" verliert an Aussagekraft, wenn er an »authentisch - womit denn?« abgeprüft wird. Zuletzt mündet er ohnehin wieder im "Geschmacklichen", was stets nur Meinung und nichts Objektivierbares darstellt.

Ich mag Startschüsse (s. o.) [grin]


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13.10.2013 13:35
#7 RE: Nochmals: Physis
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Administrator

Das driftet mir schon zu weit ab...
Authentisch klingt es dann, wenn man das Ergebnis für Pfeifenorgel halten könnte.


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13.10.2013 21:25
avatar  Michal ( gelöscht )
#8 RE: Nochmals: Physis
Mi
Michal ( gelöscht )

Ja, das stimmt schon. PeterW hat wirklich den Punkt getroffen. Wie soll was "wie echt" oder authentisch klingen, wenn „echt“ jedes Mal anders ist. Was ist dann authentisch? Das ist zwar fast schon philosophisch, aber dennoch sehr wichtig um zu erörtern, dass es heute noch keine universell passende Lösung gibt und dass, wie ich immer wieder sage, PM oder speziell Physis die Sampler nicht ersetzen kann!
Das gleiche Problem, also das des Mangels einer genauen "echten" Vorlage, gibt es auch bei den Tonradorgeln. [Ich weiß, dass sich hier im Sakralorgelforum kaum jemand für diese Hammonds interessiert, aber ich muss sie immer wieder als Beispiel anführen, da hier PM schon seit vielen Jahren erfolgreich angewendet wird und man hier viel Erfahrung gesammelt hat.]
Also, nicht nur, dass die je nach Modell ganz unterschiedlich klingen (unterschiedliche TonräDer unterschiedlicher Anzahl und teilweise komplett andere Technik), sondern auch noch von Jahr zu Jahr der Herstellung anders (typisch Amis, die brachten auch jedes Jahr ein neues Modell von nahezu jeder Automarke raus - teils nichts bahnbrechend neues, aber jedes Jahr eben etwas anders). Und dann altern diese Hammonds auch noch und verändern ihren Klang. Außerdem gibt es noch zig unterschiedliche Leslies und Verstärker (Röhren und Transitor). Aber bei den PM-Clones kann man alle diese Kombinationen beliebig wählen. Und weil sich die PM-Technologie mit dieser Herausforderung fast schon "langweilt" gibt man obendrein noch Combo-Orgeln (also Simulationen von frühen Transistor-Orgeln) gratis dazu. Es ist wirklich erstaunlich was alles möglich ist. Heute kann man bei guter PM-Software nicht nur das Modell der Tonradorgel, sondern auch den Jahrgang einstellen und dann, um eine ganz spezifische echte Orgel nachzuahmen noch ein paar wichtige Parameter feinjustieren. Dann ist es glatt möglich fast alle (noch erhaltenen) echten Instrumente täuschend ähnlich nachzuahmen. Selbst Fachleute hören keinen Unterschied mehr. Einzig bei den Lautsprechern unterscheidet sich „echt“ von Simulation immer noch. Aber das ist weniger ein Problem die physikalischen Effekte (z. B. den Dopplereffekt) eines drehenden Lautsprechers mittels PM zu modellieren, sondern die Tatsache, dass die beste Simulation über zwei getrennte Boxen im Raum in Stereo nicht das wiedergeben kann, was eine einzige Monolautsprecherbox mit einem sich drehenden Lautsprecher (respektive zweier dieser) veranstaltet.
Eine große Herausforderung war der Keyclick, also das „Schmatzen“ wenn man eine Taste auf dem Keyboard drückt, da bei Tonradorgeln sich dann sukzessive neun elektrische Kontakte nacheinander schließen was einen Klick, bzw. eine sehr schnelle Abfolge vieler Klicks unterschiedlicher Frequenzen verursacht. Genau diese perkussiven Elemente sind mittels PM nur schwer erfassbar. Aber die neusten PM-Tonrad-Clones beherrschen auch diese Disziplin tadellos. Ähnliche positive Entwicklungen sehe ich auch bei den Wind- und Anblasgeräuschen der PM-Pfeifenorgeln. Hier hat sich in relativ kurzer Zeit viel getan.

Nun aber zurück zu den vielen „echten“ Pfeifenorgeln. Freilich bei Pfeifenorgeln ist die Ausdehnung von unterschiedlichen „Modellen“ viel (viel, viel, viel) umfangreicher. Da gab es nicht nur 6 (wichtige) Typen und 15 (wichtige) Jahrgänge, sondern ungleich mehr unterschiedliche Stilrichtungen, Größen und Modifikationen. Praktisch genau so viele wie es echte Pfeifenorgeln gibt.
Daher macht der Ansatz mittels PM eine spezifische „echte“ PO nachahmen zu wollen auch keinen großen Sinn. Möglich ist das vielleicht (bzw. laut Viscount in jedem Fall) aber m. E. ist (und bleibt!) das die Domäne der Sampler-Orgeln.

Auch bei den Tonrad-Clones ist es allenfalls eine nette Demonstration auf Youtube o. ä. eine echte Orgel im AB-Vergleich täuschend echt zu simulieren.
Vielmehr bietet PM die Möglichkeit genau DIE Orgel sich einzustellen, die einem am besten gefällt.
Es ist ja nicht so, dass jede „echte“ Orgel perfekt ist – ganz im Gegenteil.

Da aber bei Physis dem User nur bestimmte wenige Regler/Werkzeuge (wenn auch mächtige) zur Verfügung stehen ist es schon elementar wichtig, wenn nicht überhaupt das Wichtigste, sich ein Modell auszusuchen, dass schon eine gute Portion der Stimmen und der Klangrichtung mit sich bringt, die man auch gerne haben möchte.

Wenn für den persönlichen Geschmack eine Unico nicht passt, dann ist es besser keine zu kaufen, denn zumindest im Heimbereich wird man nicht die Möglichkeit haben das Instrument von Grund auf umzustimmen.
Wer also auf Concerto steht, der soll keine Regent oder Unico kaufen. Da hat Gemshorn vollständig recht.
Da kann man noch so viel diskutieren – was nicht passt, passt einfach nicht. Nur darf man das, was nicht zu einem passt nicht generell schlechter stellen – vielleicht passt es ja zu einem anderen umso mehr.

Noch sind wir nicht soweit, dass der User bei Physis alles abändern kann, wie das bei den Tonrad-Clones heute schon der Fall ist. Und eben wegen der unglaublich großen Unterschiedlichkeit der „echten“ Vorlagen wird das mit Bordmitteln bei Pfeifenorgeln wohl auch nie möglich werden.
… wobei, ich habe gelernt bei Computertechnik niemals „nie“ zu sagen.

LG
Michal


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13.10.2013 21:43
#9 RE: Nochmals: Physis
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Administrator

Wir sind schon sehr weit in der Physis-Diskussion... macht aber nichts.
Vielleicht wäre der nächste Schritt, dass Viscount gezielt "thematische" Sets für seine Physis-Orgeln anbietet: Also Sets im Stil von Skinner, Cavaille-Coll, Schnitger... Entweder mit Set-Wahl bei Bestellung (wie damals die freie Dispositionswahl für die Prestige-Modelle angeboten wurde), oder nachträglichen Set-Zukauf zu einem vernünftigen Preis.
Damit ließe sich wahrscheinlich auch die Unico attraktiver gestalten, als dies bis zur Stunde der Fall ist. Denn - so weit gebe ich Michal Recht - Geschmäcker sind verschieden, und es wäre schade, wenn Viscount so viel Potenzial nicht nutzen würde.


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14.10.2013 14:11
avatar  PeterW
#10 RE: Nochmals: Physis
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+ 12.1.2018

Ach, man muß ja nicht von jedem verstanden werden [wink]
@Michal hat's getan, und das reicht mir schon.

Wenn man sich von Gesichtspunkten des Instrumentenbaus unserer Fragestellung nähert, kommt man durchaus zu anderen Aussagen als bei einer Brot-&-Butter-Betrachtung als "User".

Im Grunde ist es gleichgültig, ob Bachs Epidemische von Vanessa Mae auf der Violine (plus Orchesterbegleitung) in der Berliner Philharmonie oder von Anna Uchaikina auf einer Unico 500 (plus Pipe 39) zum »Concorso Organistico Marcello Galanti 2011« gespielt wird.
Das Urteil des Hörers kann sich immer nur an der musikalischen Qualität des Vortrags und seinem, durch Erfahrung geprägten Geschmack orientieren. Ein bloßes "gefällt mir (nicht)" sagt hingegen mehr über den Hörer/Kritiker und seine Provinzialität aus als über Werk, Instrument und Interpretation, ist also von keinem allgemeingültigen Wert.
Ob die jeweilige Interpretation noch "werktreu" (im konservativen Sinn) ist, d. h. der Intention des Komponisten entspricht, sei davon unbenommen.

Der Käufer einer Digital-Orgel - ob Sample oder PM ist dabei gleichgültig - muß bei der Auswahl seine Orgel finden, die ihm auch klanglich die wenigsten Kompromisse abverlangt.
Mit einem Instrument auf Sampling-Basis legt er sich im Rahmen der verfügbaren Intonationen auf einen Monolithen fest. Damit läuft er in Gefahr, daß ihm in einem Jahr der Klang nicht mehr gefällt wie anfangs und sich eine - nun schon massenhaft beobachtete(!) - Langeweile einstellt.
Mit einem PM-Instrument habe ich andererseits die Möglichkeit, meine Orgel und ihren Klang nach meinem Geschmack, meinen Werkauffassungen usw. zurechtzustricken, sofern die PM-Parameter das Instrument "Orgel" ausreichend fein auflösen können und ich Zugriff darauf sowie die nötigen Kenntnisse habe (die man durchaus auf den Aftersales-Service delegieren können muß.

Zitat von Gemshorn
Authentisch klingt es dann, wenn man das Ergebnis für Pfeifenorgel halten könnte

Damit hast Du mich an Schwammigkeit überboten.
1. "man" ist in diesem Zusammenhang immer "ICH", egal wer das sagt.
2. "Pfeifenorgel" - die ja so superklar definiert ist...
3. Der Konjunktiv ist hier überflüssig.


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14.10.2013 14:52
avatar  Michal ( gelöscht )
#11 RE: Nochmals: Physis
Mi
Michal ( gelöscht )

Danke PeterW.
Sie sind mir äußerst symphytisch weil Sie mit belanglos erscheinenden aber sprachlich interessanten Spitzfindigkeiten Dinge auf den Punkt bekommen, die man mit klaren Definitionen nur schwer erfassen könnte.

Das Beispiel der beiden Interpretationen der Pandemischen ist gut gewählt. Denn zufällig gefällt mir zwar Frau Mae, nicht aber deren Interpretation und noch weniger ihr Instrument und gar nicht die Rhythmus-Begleitung.

Spielt Frau Mae also nicht echt Bach?
Oder ist das Stück überhaupt Bach?
Ist Frau Uchaikina echter?
Oder ist nur die Unico echt und sonst gar nichts?

Unterm Strich kann man sagen (man bilde die Quersumme und teile durch Pi), dass Physis echter ist als Bach.
Somit haben wir also eine Referenz!

LG
Michal


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14.10.2013 18:36
avatar  PeterW
#12 RE: Nochmals: Physis
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+ 12.1.2018

Zitat von Michal
Denn zufällig gefällt mir zwar Frau Mae,

Optisch? [grin]
Das übrige Gefallen kann durchaus relativ sein. Zumindest ist ihre "Bearbeitung" - vom Show-Effekt, den ich nicht mag, mal abgesehen - interessant, und vielleicht hätte sich der Alte unter der Grabplatte im Altarraum der Thomaskirche zu Leipzig diebisch an diesem Versuch erfreut und leise mitgesummt.

Den Rest der Bonmotsammlung, an dem die Echtheits-Puristen zu kauen haben sollten, ließ ich mir genüßlich auf der Netzhaut zergehen.

Im übrigen ist es mir völlig blunz'n, wie eine Digitalorgel klingt, die Hauptsache sie klingt so, wie ich sie hören will. Daß ich dabei auf inzwischen viele Jahre Hörerfahrung, die durch Ton- und Geräuschbelästigung meiner Ohren gebildet wurden, als meinen Maßstab zurückgreife, sei unbenommen.

P. S.: Irgendwie ist privater Kontakt zu Dir schwierig... - keine PM, keine E-Mail *schnüff*


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15.10.2013 23:42
avatar  Michal ( gelöscht )
#13 RE: Nochmals: Physis
Mi
Michal ( gelöscht )

Also diesen Thread http://sakralorgel.forumprofi.de/viewtopic.php?f=8&t=256 "Intonations-Tauschbörse" habe ich eben erst entdeckt und gleich mal die Disposition und Intonation von Aeoline geladen. Und siehe da, ich habe ein vollständig anderes Ergebnis mit anderen Stimmen bekommen. Ich habe auch Firmware 1.7 (nicht upgedatet auf 1. und dennoch sind meine Stimmen ganz andere und stimmen (Entschuldigung für die Wortwiederholung) nur teils mit dem Parameterblatt von Aeoline überein.
Wenn ich mit der Disposition von Aeoline spiele klingt es schrecklich bei mir. Von ACC keine Spur.
Auch sehe ich nun, auf der Viscount-Internetseite, dass die Unico 400 ganz andere Styles hat als die 500er. Das war mir bisher nicht bewusst. Aber noch interessanter ist, dass auch bei den Styles, die bei beiden vorhanden sind (z. B. BAROQUE, ROMANTIC und SYMPHONIC) bei der 500er ganz andere Stimmen in den Standard-Styles ausgewählt sind. Ausserdem, den Style "GERMAN" habe ich überhaupt nicht, dafür aber "ENGLISH".
Wenn ich z. B. die einzelnen Stimmen der 400er bei BAROQUE bei mir manuell in den BAROQUE-Style wähle, klingt sie ganz anders als vorher in meiner Standard- BAROQUE-Einstellung (!), was aber natürlich zusätzlich auch daran liegen mag, dass die neu gewählten Stimmen dann mit Standard-Parametern geladen werden und sich z. B. meine Standard-BAROQUE-Einstellung in den Parametern von den Standard-Parametern unterscheidet. Das sehe ich daran, dass wenn ich eine Stimme zuerst austausche und dann wieder die Standard-Stimme wähle, diese plötzlich andere Parameter hat als vorher. Die Standard-Styles sind ja gar nicht überschreibbar, also kann es nicht an einer speziellen Intonation liegen.

Also das ist interessant und kann ein Grund sein warum bei der Klangbeurteilung der Unicos derart unterschiedliche Meinungen kursieren.

Ich habe z. B. festgestellt, dass meine Unico in der Standard-BAROQUE-Einstellung exakt so klingt (so gut man das bei einem Youtube-Video halt beurteilen kann) wie die von dem Video des Concorso Organistico Marcello Galanti 2011 wenn ich die gleichen Register ziehe (was man dank der Lichter gut machen kann). Und das ist abermals interessant, da das in 2011 ja noch gar keine Version 1.7 auf Youtube sein hat können.

Weiß jemand was hier vor sich geht? :help:
Fakt ist, dass eine 400er in BAROQUE anders kling als eine 500er, weil sie u. a. offensichtlich unterschiedliche Stimmen aus einer unterschiedlichen Bibliothek verwenden! Oder hängt das vielleicht auch noch mit unterschiedlicher Fertigungszeit zusammen weil eventuell die Parameter der Standard-Style-Einstellungen verändert wurden. Oder hängt es auch mit unterschiedlichen Serien innerhalb der einzelnen Modelle zusammen, die eventuell für unterschiedliche Zielgebiete ab Werk intoniert werden. Kann mir das gar nicht vorstellen, obwohl ja klar ist, dass die Orgeln für England sich von denen für Deutschland unterscheiden. Ist die Unico 500 (EU) [es gibt ja gar keine DE] – im Gegensatz zu der Unico 400 (DE) vielleicht grundsätzlich anders?
Andererseits ist es nach den Aufstellungen der Alternative-Voices so, dass alle Modelle in allen Ländern bei einem Modell die gleiche Stimmen-Bibliothek haben, lediglich die Auswahl entsprechend der Styles anders ist.
Nur scheint es unmöglich zu sein die Stimmen einer 400er auf einer 500er auszuwählen. LäDt man die Einstellungsdatei einer 400er in die 500er kommt auch prompt eine Warnmeldung, dass es sich um die Datei eines anderen Modells handelt. Wenn die 400er aber genauso viele Alternative-Voices wie die 500er hat (ist eine Vermutung, weil gezählt habe ich sie nicht), warum unterscheiden sich diese dann?
Die 400er US und DE-Modelle scheinen aber wieder identische Styles zu haben.
Also ist es wohl so, dass die 500er von der DE-400er abweicht, weil es gar keine DE-500er gibt.
Ja, so ist es, weil die EU-400er (erhältlich beispielsweise in PL) hat die gleiche Stimmenbibliothek wie die EU-500er.
Die Stimmenbibliotheken - und nicht nur die Styles - unterscheiden sich also nach Ländern. Da es keine DE-500er gibt klingt in Deutschland eine 400er prinzipiell anders als eine 500er!
Dann war das auf dem Concorso Organistico Marcello Galanti eine EU-500er und keine IT-500er!
Oder ist bei mir jetzt zur späten Stunde in meinem Kopf alles durcheinander
Fragen über Fragen …
Diese Unico-Sache scheint komplexer als gedacht!

Viele Grüße
Michal


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16.10.2013 12:07
#14 RE: Nochmals: Physis
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Administrator

Dazu eine Frage, die - wie ich weiß - nicht nur mich beschäftigt:
Kann es sein, dass unter gleicher Registerbezeichnung (z.B. "Principal8A" bei Viscounts verschiedenen Modellen unterschiedliche Registerdefinitionen rangieren? Sprich: Dass "Principal8A" bei Concerto anders klingt als bei Unico - bzw. eventuell sogar unterschiede innerhalb der Unico-Serie bestehen?
Das fände ich furchtbar chaotisch; gibt es Indizien, die darauf hindeuten?


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16.10.2013 13:12
avatar  PeterW
#15 RE: Nochmals: Physis
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+ 12.1.2018

Zitat von Gemshorn
Kann es sein, dass unter gleicher Registerbezeichnung (z.B. "Principal8A" bei Viscounts verschiedenen Modellen unterschiedliche Registerdefinitionen rangieren? Sprich: Dass "Principal8A" bei Concerto anders klingt als bei Unico - bzw. eventuell sogar unterschiede innerhalb der Unico-Serie bestehen?


In der Tat wäre so etwas chaotisch.
Da "Dateinamen" von Programmierern(!) vergeben werden, sind unterschiedliche "Inhalte" bei identischem Dateinamen nicht zu erwarten, denn das widerspräche jeder Regel dieser Zunft.
Ob dann von anderen in diesem System herumgemurkst wird, können wir nicht wissen, jedoch auch das möchte ich ausschließen.


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